Innovative Technik der Emschergenossenschaft kommt in Recklinghausen zum Einsatz.
In einer Regenwasserbehandlungsanlage wird bei starken Niederschlägen das Mischwasser durch eine Drosselung des Abflusses zunächst entschleunigt, aufgestaut und somit beruhigt. Hierbei kommt dann das physikalische Gesetz der Schwerkraft zum Tragen: Die schwereren Schmutzsedimente setzen sich nach unten ab und können durch eine Ableitung in den Abwasserkanal weiter zur Kläranlage transportiert werden. Das oben schwimmende, weitestgehend saubere und nicht-klärpflichtige Regenwasser dagegen kann nach Erreichen einer bestimmten Menge und Höhe über eine sogenannte Entlastungsschwelle ins Gewässer „überschwappen“.
Das an sich sinnvolle System hat jedoch seine Tücken: Jeder Abschlag ins Gewässer bedeutet eine ökologische Belastung für dasselbige, da auch das stark verdünnte Abwasser immer noch Keime enthalten kann. Zudem werden bei den regulären Regenwasserbehandlungsanlagen ohne Kanalnetzsteuerung die Kapazitäten der Speicherräume nicht optimal ausgeschöpft, sodass unnötigerweise große Wassermassen ins Gewässer gelangen.
Naturgemäß verteilt sich der Regen nicht gleichmäßig in der Region. Dadurch kann es sein, dass zum Beispiel Speicherraum A bereits verdünntes Mischwasser in den Bach abschlägt, während Speicherraum B noch kaum gefüllt ist. Mit der Kanalnetzsteuerung der Emschergenossenschaft wird genau dies nun vermieden.
Sensoren regeln die Steuerung der Kanalnetze
„Bei der Kanalnetzsteuerung registriert das System anhand von Sensoren den aktuellen Wasserstand in den einzelnen Anlagen und erkennt automatisch, wenn der Pegel im Stauraumkanal steigt. Darauf kann die Steuerung dann reagieren: Gibt es einen weniger gefüllten Stauraum, kann das Abwasser in diesen weitergeleitet werden. Gleichzeitig kann aber auch Wasser zurückgehalten werden, um eine Überlastung der in Fließrichtung unterhalb liegenden Stauraumkanäle zu vermeiden“, erklärt Dr. Frank Obenaus, Vorstand für Wassermanagement und Technik bei der Emschergenossenschaft. So werden nicht nur die vorhandenen Stauraumvolumina voll ausgeschöpft, sondern auch die Abschläge von nicht-klärpflichtigem Mischwasser ins Gewässer reduziert – ein Gewinn für die Wasserqualität im bereits ökologisch umgestalteten Hellbach.
An die Kanalnetzsteuerung der Emschergenossenschaft sind die Stauraumkanäle Recklinghausen-Hubertusstraße, Recklinghausen-Hohenhorster Weg, Recklinghausen-Baumstraße (alle nördlich der Emscher gelegen) sowie Herne-Vockenhof (südlich der Emscher) angeschlossen. Das System ist mit einer Störungserkennung versehen, die beispielsweise einen durch einen Ast blockierten Drosselschieber erkennt und darauf reagieren kann. Die Betriebsteams der Emschergenossenschaft werden in solch einem Fall automatisch informiert, sodass die Störung zeitnah behoben werden kann.
Mehrwerte auch für die Siedlungsentwicklung
Von den Vorteilen der Kanalnetzsteuerung profitiert auch die Siedlungsentwicklung in den Kommunen, die dadurch mehr Spielraum bei neuen Stadtentwicklungsprojekten erhalten. So muss etwa bei neuen Wohngebieten oder Gewerbeflächen unter anderem der Nachweis erbracht werden, dass die Einleitung von Niederschlagswasser verträglich für ein Gewässer ist. Zudem geht mit der Ansiedlung von neuen Gewerbe- oder Wohngebieten häufig eine weitere Versiegelung von Flächen einher, wodurch weniger Regenwasser im Boden versickern kann und zusätzliche Abwassermengen anfallen. Diese können mit der Kanalnetzsteuerung besser verteilt werden, sodass die wasserwirtschaftlichen Infrastrukturen wie Gewässer, Pumpwerke und Kläranlagen nicht zusätzlich belastet werden.
Die erfolgreiche Implementierung der Kanalnetzsteuerung im Recklinghäuser Hellbach-System, zu dem neben dem Hellbach auch der Breuskes Mühlenbach gehört, bildet nur den Auftakt: Langfristig plant die Emschergenossenschaft, weitere Nebenlaufgebiete an der Emscher in den Einzugsgebieten der Kläranlagen Bottrop und Emscher-Mündung (Dinslaken) mit einer Kanalnetzsteuerung auszustatten – unter anderem im Boye-System in Bottrop und Gladbeck, im Holzbach-System in Gelsenkirchen und Herten sowie im Hüller Bach-System in Bochum, Herne und Gelsenkirchen. Mit einer Größenordnung von rund 377 Quadratkilometern kanalisierter Fläche, rund 130 Regenwasserbehandlungsanlagen, zwei Kläranlagen und vier Pumpwerken wird die Kanalnetzsteuerung der Emschergenossenschaft in ihrer Größenordnung einzigartig sein!
Die Emschergenossenschaft
Am 14. Dezember 1899 als erster deutscher Wasserwirtschaftsverband gegründet, ist die Emschergenossenschaft heute gemeinsam mit dem 1926 gegründeten Lippeverband Deutschlands größter Betreiber von Kläranlagen und Pumpwerken. Die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Unternehmens sind die Abwasserentsorgung, der Hochwasserschutz sowie die Klimafolgenanpassung. Ihr bekanntestes Projekt ist der Emscher-Umbau (1992-2021), bei dem die Emschergenossenschaft im Herzen des Ruhrgebietes eine moderne Abwasserinfrastruktur baute. Dafür wurden 436 Kilometer an neuen unterirdischen Abwasserkanälen verlegt und vier Großkläranlagen gebaut. Rund 340 Kilometer an Gewässern werden insgesamt renaturiert. Parallel entstanden über 130 Kilometer an Rad- und Fußwegen, die das neue blaugrüne Leben an der Emscher und ihren Nebenläufen erleb- und erfahrbar machen.
EMSCHERGENOSSENSCHAFT UND LIPPEVERBAND
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